Experte: Erdogans Politik gegenüber Christen ein "Hin und Her"

Der bevorstehende Besuch von Papst Leo XIV. in der Türkei und im Libanon verbindet nach Einschätzung des Salzburger Ostkirchen-Experten Dietmar W. Winkler ökumenische Erwartungen mit politisch sensiblen Fragen vor interreligiösem Kontext. Im Interview der Nachrichtenagentur Kathpress (Dienstag) sprach der Theologe mit Blick auf die Begegnungen Leos mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. und das Gedenken zu 1.700 Jahre Konzil von Nizäa von einem "starken Symbol für die Einheit der Ost- und Westkirche". Die türkische Politik unter Präsident Recep Tayyip Erdogan gegenüber den Christen im Land bezeichnete Winkler als "oszillierend" und ein "Hin und Her". Die Papstreise könne daher sowohl kirchlich als auch diplomatisch wichtige Akzente setzen.
Der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät und stellvertretende Leiter des Zentrums zur Erforschung des Christlichen Ostens (ZECO) der Universität Salzburg verwies auf widersprüchliche Entwicklungen in der heute mehrheitlich muslimischen Türkei. "Wenn man die ganze Amtsperiode von Erdogan betrachtet, hat er überhaupt keine einheitliche Vorgehensweise in Bezug auf die Christen." Phasen positiver Signale - etwa vor einiger Zeit gegenüber Armeniern - würden von politischen Akzenten abgelöst, die "ganz stark Richtung Islam" gingen, um Erdogans Machtbasis zu stärken.
Weiteres Beispiel: Der Staatspräsident habe den Bau der neuen syrisch-orthodoxen Kirche St. Ephrem in Istanbul ermöglicht, die auch Papst Leo besuchen wird. "Das ist eigentlich eine erstaunliche Angelegenheit." Gleichzeitig lasse Erdogan die gesetzlichen Grundlagen, die christlichen Gemeinden die Neuwidmung bestimmter Areale verwehren, unverändert. "Die alte osmanische Regel, dass man ein neues Gebiet nicht für Christen nicht widmen kann, hat er nicht geändert", erinnerte Winkler.
Die Papstreise sei daher "sehr, sehr wichtig", um die christlichen Minderheiten sichtbar zu stärken. Vor diesem Hintergrund habe auch das Treffen des Papstes mit Erdogan besondere Bedeutung, "und immerhin hat der Heilige Stuhl mit der Türkei schon ganz lange diplomatische Beziehungen".
Papst nicht in der Hagia Sophia
Winkler machte zudem aufmerksam, dass Papst Leo anders als seine Vorgänger die Hagia Sophia in Istanbul nicht besuchen wird. Mit der erneuten Umwidmung in eine Moschee im Jahr 2020 habe sich die Lage verändert. Leo XIV. gehe stattdessen nur in die benachbarte Blaue Moschee. Winkler: "Ich sehe das so, dass er mit dem Besuch der Sultan-Ahmed-Moschee einerseits ein wichtiges Zeichen des interreligiösen Respekts gegenüber dem Islam darlegen möchte. Auf der anderen Seite will er genau nicht in die Hagia Sophia hineingehen, weil sie keine Kirche mehr ist."
Den Dialog mit der orthodoxen Kirche und die Begegnungen des Papstes mit Patriarch Bartholomaios als "zentralem Partner" im ökumenischen Dialog zählen für den Experten, der seit vielen Jahren auch Berater in der Ökumene-Behörde des Vatikans ist, zu den wichtigsten Elementen der Türkei-Visite. Die gemeinsame Botschaft von Papst und Patriarch werde "ein starkes Zeichen für ökumenische Gemeinsamkeit und Zusammenarbeit" und für den Frieden sein.
Papst Leo XIV. habe von Beginn seines Pontifikats an Frieden, Gerechtigkeit und Dialog betont; damit treffe er sich "sehr gut" mit Bartholomaios. Die Reise Leos XIV. stärke aber auch die armenische und syrisch-orthodoxe Gemeinschaft in der Türkei. Diese sind mit ungefähr 20.000 bis 30.000 Syrisch-Orthodoxen in Istanbul und 50.000 bis 60.000 Armeniern im Land zahlenmäßig bedeutender als die Griechisch-Orthodoxen, die mittlerweile auf rund 2.000 geschrumpft sind.
"Letztendlich ist es auch eine Pilgerfahrt"
Zum Libanon-Besuch von 30. November bis 2. Dezember verwies Winkler auf das große Spektrum an christlichen Konfessionen in dem Land. Das politische System mit seinen konfessionellen Rollen - maronitischer Präsident, schiitischer Parlamentspräsident, sunnitischer Regierungschef - bilde weiterhin einen wichtigen Rahmen. Papst Leo XIV. werde alle drei Spitzenvertreter treffen. Der Libanon sei "ein zentraler Ort für den interkonfessionellen Dialog" und "nach wie vor ein Zeichen innerhalb des Nahen Ostens für die Möglichkeit des Zusammenlebens von Konfessionen und Religionen, das gestärkt gehört", betonte Winkler.
Benedikt XIV., der als bisher letzter Papst 2012 den Libanon besucht hat, präsentierte damals vor Ort sein Schreiben "Ecclesia in Medio Oriente" im Nachgang zur Nahost-Synode der katholischen Kirche von 2010. "Ich glaube, es ist notwendig, an diese Nahost-Synode und an diese Apostolische Exhortation anzuknüpfen, damit dort der Rezeptionsprozess auch weitergeht und dadurch auch die Verbindung zur Ökumene und zum interreligiösen Dialog wiederhergestellt wird", erklärte der Theologieprofessor.
In der anhaltenden wirtschaftlichen und politischen Krise des Landes erwartet Winkler vom Papst deutliches Ermutigungspotenzial: eine "Botschaft des Friedens, der Stabilität und der Hoffnung". Programmpunkte der Papstreise wie das stille Gebet im Hafen von Beirut, das Jugendtreffen in Bkerke sowie der Besuch am Grab des heiligen Charbel hätten dabei besondere Bedeutung. Besonders wichtig sei die Begegnung mit der Jugend, "weil die Jugend ist nicht nur die Zukunft, sondern auch die aktive Gegenwart, die das Land stabilisieren und aufbauen kann". Der Besuch im Libanon sei nicht nur politisch oder im ökumenischen und interreligiösen Dialog motiviert; "letztendlich ist es auch eine Pilgerfahrt", die Glauben und Zuversicht für die Bevölkerung stärken solle, erinnerte der Experte.
Quelle: kathpress
